Digitalpakt Schule: Datenökonomie statt Pädagogik

Statement von Ralf Lankau zur Vorbereitung der Podiumsdiskussion „Digitaler Wandel: Was kommt auf die Schulen zu?“ auf der didacta 2020 am 26.3.2020 von 13.30-14.30 Uhr in Stuttgart, Messe, Halle 8, Stand B12

(Hinweis: didacta 2020 wird wg. SARS-CoV-2 verschoben.)

Mit dem „Digitalpakt Schule“ finanzieren Bund und Länder den Aufbau einer technischen Infrastruktur, die es ermöglicht, Unterricht an Schulen bundesweit zu automatisieren und zu zentralisieren. Der Digitalpakt folgt der Logik der Daten-Ökonomie (Standardisierung und Prozessoptimierung durch Datenmaximierung) statt pädagogischen Prämissen. Doch es gibt didaktisch sinnvolle Alternativen für den Einsatz von – analogen wie digitalen – Medien im Unterricht, wenn nicht die Optimierung technischer Systeme im Mittelpunkt steht, sondern der lernende Mensch.

Digitalpakt Schule, digitaler Unterricht, digitales Klassenzimmer – digital ist ein Modewort. Doch was bedeutet es konkret? Etwas zu digitalisieren heißt, Informationen technisch so zu transformieren, dass sie maschinenlesbar werden. Ob Texte, Sprache, Bilder oder menschliches Verhalten: Alles wird mit Hilfe von Sensoren (Kameras, Mikrofone, Bewegungs­melder usw.) aufgezeichnet und zu Daten(sätzen) und Dateien transformiert, die von Datenverarbeitungssystemen (= Rechner und Software) automatisiert verarbeitet werden. Mit Hilfe mathematischer Methoden (Mustererkennung, Statistik, Wahrscheinlichkeitsrechnung) werden daraus Prognosen über Nutzerverhalten berechnet und/oder das Verhalten der User über „passgenaue“ Angebote beeinflusst. Die Begriffe dafür sind persuasive (verhaltensändernde) Technologien und Vermessen der Emotionen (affective Computing, Psychometrie). Das Ziel der Daten-Ökonomie: Verhaltensmodifikation (Nudging) und Verhaltensmanipulation. (Zuboff, 2018)

Das gilt auch für Lernsoftware. „Viele dieser interaktiven Systeme funktionieren nur, wenn sie den Nutzer kennen. Das bedeutet, dass Daten protokolliert werden: Was hat der Betreffende gestern gemacht? Welche Frage konnte er nicht beantworten? Wo müssen wir wieder ansetzen?“ (1).

Personalisierte Angebote basieren notwendig auf möglichst umfangreichen Lern-, Verhaltens und Persönlichkeitsprofilen. Dazu wird das Lernverhalten jedes Schülers und jeder Schülerin möglichst kleinteilig aufgezeichnet und ausgewertet. (Learning Analytics) Aus Lernprozessen wird ein permanentes Vermessen von digital abprüfbaren Lernleistungen. Der Begriff dafür ist datengestützte Schulentwicklung. Daten, nicht Menschen, stehen nach dieser Logik im Mittelpunkt von Schule und Unterricht. Daten sind die Grundlage für die Prozessoptimierung, nicht Individuen. Relevant ist nach den Prämissen von Daten-Ökonomie und Data-Ismus nur, was messbar ist . (Harari 2017)

Wer statt der Optimierung technischer Systeme den lernenden Mensch und dessen individuelle Entwicklung als autonome Persönlichkeit im Blick hat, kappt daher als Erstes den Rückkanal für Daten. Statt Daten und Profile zu optimieren, gelten als Prinzipien Datensparsamkeit und Dezentralisierung (Tim Berners-Lee und sein Projekt „Solid“). Statt Nutzerprofile in intransparenten Datensilos von IT-Anbietern zu sammeln, werden Daten nur lokal im Intranet gespeichert (Edge Computing) und gelöscht, sobald sie nicht mehr gebraucht werden. Persönlichkeits- und Leistungsprofile von Minderjährigen werden gar nicht erst erstellt und schon gar nicht vermarktet. Technisch wird das mit Linux als Betriebssystem und Open Source-Software realisiert. Damit kann man offline alles zu IT und Web unterrichten und lernen, ohne auch nur ein Bit an persönlichen Daten zu verlieren. Dadurch werden Rechner und Software im Unterricht wieder zu dem, was sie sein sollten: mögliche Werkzeuge für Lehrende wie Lernende, ohne erzwungene Datenprostitution.


1) Meinel, Christoph (2020) Im internationalen Vergleich sind wir nicht gut aufgestellt, didacta-Themendienst; https://bildungsklick.de/schule/detail/im-internationalen-vergleich-sind-wir-nicht-gut-aufgestellt (19.2.2020) Meinel ist Leiter des Hasso-Plattner-Institut Berlin, das die Schul-Cloud mitentwickelt.

Harari, Yuval Noah (2017): Homo Deus. Eine kurze Geschichte von Morgen, 2017

Lankau, Ralf (2019) Digitalisierung als De-Humanisierung von Schulen oder: Vom Unterrichten zum Vermessen. Bildungseinrichtungen unter dem Diktat von Betriebswirtschaft und Datenökonomie. Schriftliche Stellungnahmen zum Expertengespräch und Vortrag in der Kinderkommission des Deutschen Bundestags „Chancen und Risiken des frühen Gebrauchs von digitalen bzw. Bildschirmmedien“, 16. Januar 2019, Berlin; https://futur-iii.de/2019/01/16/digitalisierung-als-de-humanisierung-von-schulen/

Zuboff, Shoshanna (2018) Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, Campus