Gemeinderatsfraktion stellt Kita-Digitalisierung in Frage

Mit einer Anfrage (27.10.2023) stellt die Stuttgarter FrAktion (LINKE, SÖS, Piraten, Tierschutzpartei) im Gemeinderat infrage, ob das Konzept zur praktischen Medienarbeit in städtischen Kindertageseinrichtungen des Stuttgarter Jugendamts dafür geeignet ist, Kinder in ihrer geistigen und psychischen Reife und Entwicklung zu fördern.

Denn einschlägige wissenschaftliche Untersuchungen warnen mit schwerwiegenden Argumenten auf Basis bisheriger Erfahrungen eindringlich vor einem frühzeitigen Umgang von Kindern mit Smartphone und Tablet.

Zu der Anfrage gibt es ein 48-seitiges Gutachten, in der die Experten Prof. Paula Bleckmann, Prof. Gertraud Teuchert-Noodt, Peter Hensinger MA, Prof. Ralf. Lankau und Prof. Manfred Spitzer die Digitalisierung und das Stuttgarter Konzept analysieren.

Anfrage zu Stuttgarter Kita Konzept / Jugendamt
Stadträtinnen/ Stadträte – Fraktion Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei
Tablets als Erziehungsinstrument? Fragen zum „Konzept zur praktischen Medienarbeit in städtischen Kindertageseinrichtungen“ des Jugendamts. Eingereicht am 27.10.2023

Zur Vorgeschichte der Debatte

Im Jahr 2021 beschloss die Stadt Stuttgart, Kindergärten mit Tablets auszustatten, als Spiel- und Lerngeräte für die Kinder. Daraufhin schrieben für das Bündnis für humane Bildung (BfhB) die Pädagogen Prof. Ralf Lankau, Peter Hensinger und der Wissenschafts­jour­na­list Ingo Leipner an das Jugendamt der Stadt Stuttgart und begründeten anhand der Studienlage ausführlich, warum dieser Beschluss falsch ist. Sie boten auch Gespräche darüber an. Die Stadt Stuttgart rechtfertigte den Beschluss und lehnte Gespräche ab (dokumentiert auf www.diagnose-funk.org/1754).

Die Auseinandersetzung setzte sich im Juli 2023 fort. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Stuttgarter psychiatrischen Einrichtung Rudolf-Sophien-Stift fand ein Symposium statt, auf dem Prof. Thomas Fuchs (Jaspers-Lehrstuhl Univ. Heidelberg) in seinem Vortrag „Verteidigung des Menschen“ darlegte, warum die Digitalisierung in den Lebenswissenschaften ein Akt der Dehumanisierung ist. Die Stuttgarter Bürgermeisterin Alexandra Sußmann war anwesend und zollte diesem Vortrag Beifall. Peter Hensinger (BfhB) schrieb ihr daraufhin, dass dieser Vortrag auch als Kritik an der Digitalisierungs­konzep­tion für die Kitas in Stuttgart gesehen werden sollte. Im Auftrag der Bürgermeisterinnen Fezer und Sußmann antwortete die zuständige Sachbear­beiterin im Jugendamt mit dem erstaunlichen Schlusssatz:

„In einem anderen Kontext mögen Ihre wissenschaft­lichen Ansätze durchaus ihre Berech­tigung finden, allerdings nicht im Zusammenhang mit dem Einsatz von Medien innerhalb unserer Einrichtungen“ (14.07.2023).

Mit gleicher Post schickte sie die Broschüre „Konzept zur praktischen Medienarbeit in städtischen Kindertagesein­richtungen“ (2022) mit, die diese Aussage bestätigt. Diese Konzeption beruht tatsächlich nicht auf den wissenschaftlichen Grundsätzen aus Pädagogik, Medizin und Entwicklungspsychologie, die Lankau, Hensinger und Leipner im Briefwechsel von 2021 und die Prof. Fuchs in seinem Vortrag darlegten. Die erziehungs­wissen­schaft­lichen Grundlagen, auf denen diese Konzeption basiert, werden in der Antwort nicht benannt. Medienexperten des Bündnisses für humane Bildung beschäftigten sich auch wegen der bundesweiten Bedeutung dieser Fragen mit der Stuttgarter Konzeption und verfassten dazu Stellungnahmen, die in diesem Papier dokumentiert werden:

Gutachten

Digitale Medien und KiTas: Die Stuttgarter Konzeption zur frühkindlichen Medienerziehung in der Kritik und Vorschläge für Alternativen

Die Anfrage der FrAktion wird wissenschaftlich untermauert durch ein 48-seitiges Gutachten mit fünf Beiträgen (aus der Einleitung)

Autorinnen und Autoren

  • Prof. Paula Bleckmann führt in ihrer Stellungnahme „Die Nutzung von digitalen Bildschirmgeräten durch KiTa-Kinder hat eine schlechte Chancen-Risiken-Bilanz: Die Risiken sind zu hoch, die Chancen zu gering“ aus, warum andere Wege, wie im Stuttgarter Konzept vorgeschlagen, notwendig sind, um Kinder auf eine zukünftige Medienmündigkeit vorzubereiten.
  • Prof. Gertraud Teuchert-Noodt fasst in ihrem Beitrag „Warum digitale Medienarbeit mit Kindern zum Scheitern verurteilt ist“ die neurobiologischen Erkenntnisse zur Gehirn- und Lernentwicklung zusammen und weist nach, dass das Konzept ihnen widerspricht.
  • Prof. Ralf Lankau zeigt in seinem Beitrag „Kinder brauchen reale Menschen zum Lernen, keine Bildschirme“, wie sich – wohl unbewusst – die industriellen Narrative im Konzept widerspiegeln, zeigt die Zusammenhänge zu Industrieinteressen auf, die internationale Kritik daran und formuliert pädagogische Grundsätze für eine Medienerziehung.
  • Beigefügt ist dieser Kritik der Review von Prof. Manfred Spitzer (2022), „Digitalisierung in Kindergarten und Grundschule schadet der Entwicklung, Gesundheit und Bildung von Kindern“, der aus medizinischer Sicht die Folgen der Frühdigitalisierung darstellt.
  • Peter Hensinger MA fasst in einem einleitenden Beitrag die Hauptpunkte der Auseinandersetzung zusammen.