Die Corona-Welle reiten 02: G Suite for Education

Das erzwungene Schließen der Schulen wegen der Corona-Pandemie drei Wochen vor Ostern und die damit verbundene Verlagerung der Kommunikation zwischen Lehrerinnen, Lehrern und Schülern auf digitale Kanäle führt zu seltsamen Auswüchsen. Eine Privatschule ordnet den Umgang mit personenbezogenen Daten der Schülerinnen und Schüler ganz den Anforderungen von Google unter. Wer Kinder in der Schule hat, sollte solche Nutzungsbedingungen nicht unterschreiben und einen Schulwechsel erwägen.

Der digitale Ostergruß der Schule: Schülerdaten für Google

Kurz vor Ostern bekamen die „sehr geehrten Eltern und Erziehungsberechtigten“ einer Privatschule mit angeschlossenem Internat einen Brief, dass diese Schule ab sofort Softwarepakete von Google verwende. Das Schreiben informiert über die Einrichtung und Verwaltung eines G Suite for Education-Kontos für jede Schülerin und jeden Schüler. Die Einwilligung in dieses Vorgehen würde durch den bestehenden Vertrag zur Beschulung und Unterbringung im Internat mit der Stiftung als Schulträger als gegeben angesehen.

Ein interessanter Freibrief. Normalerweise sollten Eltern und Erziehungsberechtigte davon ausgehen können, da? eine Schule mit angeschlossenem Internat beim Einsatz von digitalen Geräten und Diensten für Minderjährige besonders sensibel und restriktiv vorgeht. Aber nein: Google-Dienste sollen für Google-Webdienste, Hausaufgaben und die Kommunikation mit den Lehrern genutzt werden. Alles aus der Hand eines US-Konzerns, der vor allem für das massive Sammeln von Nutzerdaten und Intransparenz der Datenhaltung und -auswertung bekannt ist. Was mit den Daten passierte, ist Geschäftsgeheimnis.

Auch eine Drohung fehlt nicht: Würde der Einrichtung und Verwaltung eines G Suite for Education-Kontos für das Kind widersprochen, würde das Konto gelöscht. Das hätte aber zur Folge, dass das Kind nicht am gemeinsamen interaktiven Lernen und Arbeiten im Klassenverband teilnehmen könne. Weiter heißt es: Ohne Google-Konto seien Eltern bzw. Erziehungsberechtigte in der Pflicht, der Schule eine alternative Form der Zurverfügungstellung von Unterrichtsinhalten zu ermöglichen. Kooperatives Arbeiten mit Mitschülern außerhalb der G Suite for Education obliege in diesem Fall in Verantwortung und Ermessen der Eltern. Auch das eine völlige Verkehrung der Verantwortung: Es wäre Aufgabe der Schule, die Teilnahme am Unterricht und gemeinsamen Lernaktivitäten so zu organisieren, dass sie ohne die Datensammelwut eines US-amerikanischen IT-Monopolisten möglich sind. Der damalige Justizminister Heiko Maas hatte im Gastbeitrag „Unsere digitalen Grundrechte“ in der ZEIT vom 10. Dezember 2015 als Artikel 13 gefordert: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine analoge Welt. Niemand darf ungerechtfertigt benachteiligt werden, weil er digitale Dienstleistungen nicht nutzt.“ Dieser Artikel wurde aufgrund intensiver Lobby-Arbeit der IT-Wirtschaft zwar nicht in die Endfassung der Digitalcharta übernommen, sollte aber angesichts der massiven Zwangsdigitalisierung im Gesundheits- wie im Bildungswesen reaktiviert und für alle Schulen zur Handlungsmaxime werden: Kein Kind darf in der Schule benachteiligt werden, weil es keine Online-Dienste und Bildschirmmedien nutzt. Anstatt die Eltern in die Pflicht zu nehmen, sollten die Schulen alternative Medien- und Lernangebote machen (müssen), z.B. Offline-Rechner im Intra- statt Internet.Denn nicht das Arbeiten mit Rechnern ist der Knackpunkt, sondern der Rückkanal für das Sammeln von Schülerdaten.

Google: Daten sammeln und vermarkten

Laut Europäischer Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) muss, wer auch immer personenbezogen Daten sammelt und auswertet, exakt angeben, welche Daten „für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben werden und [diese Daten; rl] dürfen nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden.“ (Art. 5.1) Im Schreiben der Schule heißt es: Bei der Erstellung eines Schülerkontos stelle die Schule Google möglicherweise bestimmte personenbezogene Daten über Schüler zur Verfügung, beispielsweise Namen, E-Mail-Adresse und Passwort. Google erfasse eventuell auch personenbezogene Daten direkt von den Schülern, beispielsweise Telefonnummern für die Kontowiederherstellung oder ein Profilfoto für das G Suite for Education-Konto. Möglicherweise, eventuell?

Laut DSGVO dürfen nur die angegebenen und nur die notwendigen Daten gespeichert werden, die: „dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt“ sein müssen (Stichwort Datenminimierung). Google speichert aber – möglicherweise? – Geräteinformationen und Hardwareinformationen, Gerätekennungen und Betriebssystemversionen, IP-Adressen und Standortinformationen, setzt akivitätsprotokollierende Cookies, nutzt Sensoren der Geräte und deren Daten.

Das sind Daten und Informationen, die man für die Bereitstellung von Lernsoftware nicht braucht, weil sie so konzipiert sein müsste, dass Schülerinnen und Schüler mit jeder beliebigen Hard- und Software auf Webdienste zugreifen können sollten. Aber wie heißt es im Text der Schule? „In den G Suite for Education-Hauptdiensten nutzt Google personenbezogene Daten von Schülern, um die Dienste bereitzustellen, zu verwalten und zu schützen. Google liefert in den Hauptdiensten keine Anzeigen aus und verwendet die in den Hauptdiensten erfassten personenbezogenen Daten auch nicht für Werbezwecke.“

Das klingt erst einmal beruhigend. In den Hauptdiensten wird für Schülerinnen und Schüler keine Werbung geschaltet. Nur heißt es direkt anschließend: „In den zusätzlichen Google-Diensten [die zur G-Suite gehören; rl] nutzt Google die erfassten Daten, um die Dienste bereitzustellen, zu verwalten, zu schützen und zu verbessern sowie um neue Dienste zu entwickeln.“ Personenbezogene Daten zu nutzen, um Dienste zu verbessern und neue Dienste zu entwickeln ist ein Freibrief. Nur Google entscheidet, welche Daten dafür erfasst und für was sie benutzt werden. Kurz darauf heiß es weiter: „Google kann diese Daten zudem verwenden, um maßgeschneiderte Inhalte zu liefern, beispielsweise relevantere Suchergebnisse.“ Das ist keine Werbung, aber Nutzersteuerung durch die Anzeige der von Google – nach welchen Kriterien? – selektierten „Such-“Ergebnisse . Dazu kommt: „Google kombiniert eventuell auch personenbezogene Daten aus einem Dienst mit Informationen und personenbezogenen Daten aus anderen Google-Diensten.“ Geht es noch ungenauer?

Vermarktung von Schülerdaten

Niemand kann mit solchen Nutzungsbedingungen nachvollziehen, welche Daten gesammelt und für was diese Daten ausgewertet werden. Es geht aber noch weiter. Unter der Überschrift „Wird Google die personenbezogenen Daten meines Kindes offenlegen?“ steht, unter welchen Umständen Google personenbezogene Daten an Unternehmen, Organisationen und Personen außerhalb von Google weitergibt, nämlich:

  1. Mit Einwilligung der Eltern oder Erziehungsberechtigten (bei Minderjährigen) oder der Nutzer (bei Volljährigen) an Unternehmen, Organisationen oder Personen außerhalb von Google. Dabei wird nirgends benannt, welche Unternehmen, Organisationen oder Personen das sind oder aus welchen Gründen Daten weitergegeben werden. So pauschal formuliert entspricht das rechtlich keiner Datenschutzrichtlinie. Die DSGVO schließt Pauschalfreigaben aus. Sinnigerweise wird diese Einwilligung bei den Eltern gleichzeitig mit der Zustimmung zur G Suite for Education-Schule eingeholt, was ebenfalls nicht zulässig ist.
  2. Auch Administratoren haben Zugriff auf die Informationen dieser Konten, obwohl das zur Administration des Systems gar nicht notwendig ist. Üblicherweise trennt man den Zugriff auf das System und dessen Administration von sensiblen Nutzerdaten, damit Systemupdates keine Nutzerdaten beeinflussen können.
  3. Noch großzügiger ist die letzte Passage des Textes, wenn es zur Verarbeitung durch andere Stellen heißt: „Google stellt personenbezogene Daten seinen Partnern, anderen vertrauenswürdigen Unternehmen oder Personen zur Verfügung, die diese im Auftrag von Google verarbeiten. Dies geschieht auf der Grundlage der Weisungen von Google und im Einklang mit der G Suite for Education-Datenschutzerklärung sowie anderen geeigneten Vertraulichkeits- und Sicherheitsmaßnahmen.“()

Google entscheidet, welche Daten an wen weitergegeben und nach Weisung von Google weiterverarbeitet werden. Google entscheidet, welche Vertraulichkeits- und Sicherheitsmaßnahmen geeignet sind. Google entscheidet über alle Datenfragen. Hier hat sich ein Schulträger bzw. eine Schulleitung komplett in die Abhängigkeit und das Rechtsverständnis eines amerikanischen IT-Monopols begeben, das dafür bekannt ist, möglichst viele Daten von jedem Nutzer und jeder Nutzerin zu sammeln, um möglichst „optimierte Angebote“ machen zu können. Optimiert heißt: Die Nutzerinnen und Nutzer verbringen möglichst viel Zeit am Bildschirm, weil nur dann personalisierte Werbung geschaltet und „passgenaue Angebote“ platziert werden können.

Nach Auffassung der hier zitierten Schulleitung haben die Eltern „der Erfassung und Verwendung der Daten Ihres Kindes durch Google mit dem bestehenden Schulvertrag zugestimmt.“ Stimmt das tatsächlich? Eltern geben ihre Kinder in die Obhut von Schulen, damit sie altersgemäß unterrichtet werden, die Bildungsziele der Bildungspläne erreichen und sich zu eigenständigen Persönlichkeiten entwickeln. Das an die Software und Dienstleistungen eines Unternehmens zu koppeln, ist verantwortungslos und der pädagogische Offenbarungseid.

Digitalgläubigkeit als Verblendung

Google dient nur als Beispiel. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) und Nutzungsbedingungen anderer Anbieter sind vergleichbar. Es wird auch immer Anwälte geben, die die Rechtmäßigkeit solcher AGBs bestätigen. Dafür werden sie bezahlt. Insbesondere Anwälte großer IT-Unternehmen reizen AGBs systematisch aus. Datenschutz und Privatsphäre gelten als Innovationshindernis. Erstaunlich ist, dass eine (Privat)Schule glaubt, sich den Bedingung der Daten-Ökonomie unterordnen zu müssen. Als wäre nicht bekannt, dass wir im Zeitalter des Überwachungskapitalismus (Shoshana Zuboff 2018) leben und gerade Schulen und Hochschulen eine Gegenstrategie zu dieser Form technischer Entmündigung entwickeln müssten, wenn wir weiter eine demokratische und humane Gesellschaft bleiben wollen.In diesem konkreten Fall sollte, wer Kinder auf dieser Schule hat, die Nutzungsvereinbarungen anwaltlich überprüfen lassen und dann zum Wohle der Kinder handeln.

Der Beitrag als PDF: Die Corona-Welle reiten 02: G-Suite for Education (Google)

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