Was passiert, wenn Bildungspolitik maßgeblich von Wirtschaftsvertretern und IT-Lobbyisten konzipiert wird, zeigt exemplarisch der Digitalpakt#D des BMBF. Der Bildungsföderalismus der Länder wird unterlaufen, das Grundgesetz bei Bedarf umgangen und Grundrechte der Lehrerinnen und Lehrer ausgehebelt. Dafür sitzen Vertreter der IT-Wirtschaft in den Beratungsgremien und können ihre Vorstellung von „digitaler Bildung und Unterricht“ durchsetzen.
Computer in alle Schulen, alle Schüler an die Computer: So hieß das Fortschritts- und Zukunftsprogramm der Kultusminister aus dem Jahr 1984. Diskutiert wurde, ab welchem Alter Rechner didaktisch sinnvoll eingesetzt und an welchen Schulformen Informatik unterrichtet werden sollte. Diese Fragen scheinen geklärt: „Einmaleins und ABC nur noch mit PC“ – so startet 2016 die Pressemeldung der „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ des Bundesbildungsministeriums. Die Frage nach Schulform oder -stufe wird genauso wenig gestellt wie die Frage nach Lehr- und Lerninhalten.
Die durchgehende Digitalisierung aller Bildungseinrichtungen ist Programm: „Mit der Strategie ‚Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft‘ legen wir einen systematischen Handlungsrahmen vor, um die digitale Transformation des Bildungssystems voranzutreiben“ steht gleich am Anfang der Broschüre. Entsprechend gibt es Projekte von der „Frühkindlichen Bildung“ über alle Schulstufen bis zu Beruflicher Bildung und Weiterbildung. Wie beim Ausrufen der „Bildungsrepublik“ von 2008 wird auf MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) verkürzt. Beim Marketing ist man konsequent. Für alle (Hoch-) Schulformen und Altersstufen wird die 4.0-Metapher übernommen: Schule 4.0, Berufliche Bildung 4.0, Lehre 4.0.
Die Transformation des Bildungssystems korrespondiert mit dem 10. Nationalen IT-Gipfel am 16./17. November in Saarbrücken. Das Motto: „Lernen und Handeln in der digitalen Welt“. In dessen Vorfeld hatte Bundesministerin Prof. Dr. Wanka den „Digitalpakt#D“ angekündigt, parallel dazu publizierte die Scheer Holding GmbH in Kooperation mit dem Feldafinger Kreis das „Saarbrücker Manifest“. Dessen Initiator und Mitautor, Prof. Dr. Scheer, ist zusammen mit Frau Wanka Vorsitzender der formal vom BMBF gegründeten IT-Gipfel-Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft“, die den Digitalpakt#D verantwortet. Der zweite Autor des Manifests ist Leiter des Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), das „intelligente Lösungen für die Wissensgesellschaft“ anbietet – Grundlage für automatisierte und personalisierte Lernmanagementsysteme. In der Plattform selbst sind Vertreter aller großen IT-Firmen und Verbände versammelt: von Bitkom und Gesellschaft für Informatik (GI) über Microsoft bis SAP, Telekom und Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik (HPI). Nicht vertreten sind Kinderärzte, Pädagogen, Lernpsychologen oder Neurowissenschaftler, die die Folgen der Nutzung dieser Bildschirmmedien (Smartphone, Tablet) untersuchen.
Gemeinsam ist den Akteuren die alogische Begrifflichkeit. Es gibt weder digitalen Unterricht noch digitale Bildung. Unterricht ist sprachlogisch an Lehrende und Lernende gebunden. Fehlt ein Part, sind es mediengestützte Selbstlernphasen. Bildung ist notwendig an ein Subjekt gebunden. Bildung ist weder Speicherformat noch Objekt oder messbare Größe, sondern Merkmal einer Persönlichkeit. Es ist aber charakteristisch für einen technokratischen Bildungsbegriff, wenn der Bertelsmann-Konzern unter der Überschrift „Wachstum Education“ damit wirbt, dass dank Digitalisierung „Bildung auch online in guter Qualität ausgeliefert werden kann.“ Das sind Termini aus der industriellen Produktion und dem Qualitätsmanagement (QM). Ziel ist die Kommodifizierung, also die Kommerzialisierung und Privatisierung öffentlicher Bildungseinrichtungen.
Der Artikel bei der FAZ: Bildungshäppchen, frei Haus geliefert
Die Langfassung mit Quellen (7 S.): Bildungspolitik als Scheer-Holding Value
* Begriffe
- Der Begriff „Shareholder Value“ setzt sich aus den Vermögenswert (Value) und Anteilseigner (Shareholder) einer Aktiengesellschaft zusammen. Eine Unternehmenspolitik im Sinne des Shareholder Values hat zum Ziel, den Kurswert der Aktien und damit den Marktwert des Gesamtunternehmens zu erhöhen.
- Der Begriff „Stakeholder Value“ steht für ein ein Wirtschaftskonzept, bei dem nicht nur die Interessen der Anteilseigner (Shareholder) sondern aller Beteiligten (Mitarbeiter, Zulieferer, Kunden u.a.) berücksichtigt wird.
- Scheer Holding GmbH: Die IDS Scheer AG wurde 1984 von August-Wilhelm Scheer als Spin-off des „Instituts für Wirtschaftsinformatik“ der Universität des Saarlandes gegründet und 2010 vollständig von der Software AG übernommen. Nach einer Umstrukturierung wird IDS Scheer Consulting GmbH heute als Scheer Holding GmbH weitergeführt.
- Feldafinger Kreis: Ein Intressenverband mit Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft, um Forschungsergebnisse schneller und effizienter in innovative Produkte, Dienste und Verfahren umzusetzen.