Pädagogik statt Datenwirtschaft

Warum die Freie Waldorfschule Überlingen am Bodensee nach gründlicher Diskussion die Gelder aus dem „Digitalpakt Schule“ NICHT in Anspruch nimmt und stattdessen eigenständige Wege auch beim Einsatz von (digitalen) Medien geht.

Stellungnahme des AK „Digital-Pakt Schule“ zur Verwaltungsvereinbarung des Bundes DigitalPakt Schule 2019 bis 2024

Der Arbeitskreis, bestehend aus Vertreterinnen der Elternschaft, Lehrern des Oberstufenkollegiums, Lehrerinnen und Lehrern des Unter- und Mittelstufenkollegiums, dem Systemadministrator der Schule sowie unserer Schulärztin hat sich über drei Monate hinweg mit den Chancen und Möglichkeiten, den Risiken und Bedenken beschäftigt, die ein mögliches Antragsverfahren und das Abrufen einer Mittelbereitstellung (Gesamthöhe für unsere Schule: 384.000,-€) mit der damit verbundenen Einrichtung einer digitalen Infrastruktur an unserer Schule bedeuten würden.
Im Zuge der Beschäftigung mit dem Themenfeld und der sich daran anschließenden intensiven Auseinandersetzung sind die Mitglieder des Arbeitskreises einstimmig zu folgendem Ergebnis gelangt:

Wir lehnen den DigitalPakt Schule ab. Wir empfehlen den zuständigen Gremien der Schule, die Mittel aus dem DigitalPakt für unsere Schule nicht abzurufen, weder aktuell noch in naher Zukunft.

Begründung:

  • Mit einer Zustimmung zum DigitalPakt würden wir uns in undurchschaubare Abhängigkeiten von Staat und Softwareunternehmen begeben, da wir nur aus einem sehr eingeschränktem Pool an Firmen mit entsprechend vorgegebenen Inhalten wählen könnten.
  • Zudem ist nur das Gesamtpaket buchbar, das umfangreiche vertragliche Verpflichtungen beinhaltet.
  • Die Finanzierung der Mittel ist in der Präambel des Digital-Pakts nur bis 2024 gesichert. Was ist mit den Folgekosten? Mit kostspieligen Verträgen für Software, Wartung, Fortbildung sowie rasch veralteten Geräten?
  • Was die Anschaffung von sogenannten Endgeräten angeht, würden unserer Schule lediglich finanzielle Mittel in Höhe von maximal 25.000,-€ zustehen. Über diese Mittel verfügen wir aus eigenen Kräften, ohne uns in Abhängigkeiten zu begeben. Zudem sind diese Geräte ohne eine Einwilligung in das Gesamtpaket des DigitalPaktes nicht abrufbar.
  • Der DigitalPakt soll „verlässlich leistungsfähige digitale Bildungsumgebungen zur Verfügung stellen“, es ermöglichen, digitale Bildungsmedien systematisch über entsprechende Portale zu recherchieren und einzusetzen und die dafür notwendigen urheberrechtlichen Lizenzen für den Einsatz im Unterricht zur Verfügung stellen sowie „Lehrkräfte für diesen Einsatz nachhaltig qualifizieren und sie bei der Integration digitaler Medien in Lehr- und Lernprozesse unterstützen“.
    Uns fehlen hier medienpädagogische Gesichtspunkte. Der Umgang mit digitalen Medien wird an keiner Stelle problematisiert.
  • Wieviel Einfluss gewinnt der Staat, wenn digitale Lehr-Lern-Infrastrukturen wie Lernplattformen, pädagogische Kommunikations- und Arbeitsplattformen, Portale, Landesserver, Cloudangebote einzurichten sind, die auf Interoperabilität ausgerichtet sein müssen? Wollen wir wirklich soviel Einflussnahme auf unseren pädagogischen Alltag?
  • Es gibt zahlreiche Studien, die eindeutig belegen, dass das Lernen am PC, vor allem im zu frühen Kindesalter, deutlich schlechtere Ergebnisse zeigt. In Ländern wie Südkorea oder Australien sind ähnliche Offensiven wie jetzt der Digital-Pakt Schule gescheitert. Medienkompetenz geht anders. Wir wollen unsere Kinder zu medienmündigen Erwachsenen erziehen.
  • Der DigitalPakt Schule bedingt eine vollständige Verkabelung der Schule, WLAN in allen Unterrichtsräumen und breitbandige Internetzugänge.
    Die gesundheitlichen Gefahren durch Strahlung werden nicht thematisiert. Die Gesundheit unserer Kinder ist uns jedoch ein ernsthaftes Anliegen.
    Selbstverständlich muss eine moderne Schule über entsprechende Zugänge verfügen. Wir möchten aber gerne selbst darüber entscheiden, wann und wo wir wem in welchem Kontext entsprechende Möglichkeiten zur Verfügung stellen.
  • Wir sind in puncto digitaler Infrastruktur sowie medialer Versorgung als Schule gut aufgestellt.  Die mit dem Pakt verbundenen Auflagen sind es nicht wert, sich ohne Not in schwer zu durchschauende Abhängigkeiten zu begeben. In finanzieller Hinsicht ist hier auch die Suche nach alternativen Geldgebern denkbar.
    Durch ihre Handlungsorientierung, ihren Weltbezug, ihr ganzheitliches Lernen und die große Bedeutung der Entwicklung der sozialen Fähigkeiten in der Klassengemeinschaft befähigt die Waldorfpädagogik die Schülerinnen und Schüler, ihren eigenen Weg in der Diversität der globalisierten Welt zu finden. An Stelle von vorgegebenen digitalisierten Lernmustern benötigen wir offene und freilassende Erfahrungsräume, die ihnen eigene Sinnstiftungen ermöglichen.

Schlussbetrachtung:

Wir halten den Digital-Pakt Schule für unsere Schule für ungeeignet, widersprechen die Vereinbarungen und Bedingungen des Pakts doch fundamental den Grundsätzen unserer Pädagogik. Der DigitalPakt Schule stellt einen Frontalangriff auf unsere Erfahrungsfähigkeit, unseren Wirklichkeitssinn sowie das autonome Denken dar.

Wir haben jedoch, das ist uns bewusst, eine moralisch-pädagogische Verantwortung für das digitale Zeitalter. Wir wollen digital nicht im Abseits stehen. Die Vermittlung von digitalen Kompetenzen muss künftig zu unserer pädagogischen Ausrichtung gehören. Dafür wollen wir noch in diesem Schuljahr als Kollegium gemeinsam mit Eltern und Schülerinnen und Schülern ein tragfähiges Medienkonzept für unsere Schule erarbeiten.

Für den Arbeitskreis: Daniel Mylow

Der Text als PDF: Aktuelles Blättle (DigitalPakt)